Wenn die Zeit aus dem Takt geraten ist ...

Jugend-Literaturpreis der OVAG: Beeindruckende Lesung mit Preisträgerinnen in der Burg.

Seba Habibyar ist das beste Beispiel gegen die von „woken“-Kreisen erhobene Forderung, nur der, der bestimmte körperliche Merkmale erfülle oder eine bestimmte Biographie im Gepäck habe, die er seinem Protagonisten in einer Geschichte (oder auch in einem Film) zuschreibe, dürfe sich auch dazu äußern. Auf die Geschichte „Der Schatten“ der 21-jährigen Bad Nauheimer Studentin Seba Habibyar bezogen, bedeutete dies: Nur wer übergewichtig ist, sich ritzt und unter schwierigen familiären Verhältnissen aufwächst, hat auch das legitime Recht, dazu einen Text dazu verfassen.

Seba Habibyar jedoch hat mit ihrer Geschichte, beim 19. Jugend-Literaturpreis der OVAG im vergangenen Jahr von der Jury prämiert, im besten Sinne das bewiesen, zu was gute Literatur in der Lage ist: Mit Empathie, Einfühlungsvermögen und schreiberischem Geschick sich in andere Menschen hineinzuversetzen, in deren Welt hineinzuschlüpfen und sie zum Leben erwecken – unabhängig von eigenem Alter, Geschlecht, eigener Religion, sexueller Präferenz, familiärer Biographie und Erfahrungshorizont. So hat sich die vierfache Gewinnerin des OVAG-Jugend-Literaturwettbewerbs sensibel, diskret ohne voyeuristischem Blick der scheinbar ausweglosen Situation einer Jugendlichen angenähert, die auf einem Brückengeländer stehend endet.

Beeindruckt von dem Vortrag waren die Schülerinnen (es hatten sich zu der Lesung tatsächlich nur Zuhörerinnen angemeldet) im Burg-Gymnasium von Friedberg. Neben Seba Habibyar stellten zwei weitere Preisträgerinnen ihre gekürten Texte vor. So die 2004 in Syrien geborene Masa Alnomani, die die Ernst-Ludwig-Schule in Bad Nauheim besucht. „18:00:00“ in dem es um grausame, nur selten beachtete Nebenerscheinungen des Krieges in Syrien geht.

Bereits zum sechsten Mal schrieb sich die mittlerweile 22-jährige Friedbergerin Pia Bonn unter die Gewinner des Wettbewerbs. In ihrer ehemaligen Schule, der Burg, las Pia Bonn aus ihrem Text „Das Café der Uhren“. Die Idee zu der Geschichte, so die Autorin im Anschluss an ihre Lesung, war ihr während der Corona-Zeit gekommen. Als nichts mehr so schien, wie es kurz vorher noch gewesen war. Im „Café Zeitlos“, in dem an den Wänden zahlreiche Uhren hängen, von denen jedoch keine einzige die richtige Zeit anzeigt – für Pia Bonn ein Bild dafür, wie damals so vieles aus dem Gleis sprang – treffen unterschiedliche Menschen mehr oder weniger zufällig aufeinander. Jeder beladen mit seinen eigenen Problemen und Problemchen. Geschickt orchestriert Pia Bonn dieses Szenario, im Bewusstsein, dass auch am nächsten keine der Uhren die richtige Zeit anzeigen wird. Wenn die Zeit eben aus dem geraten Takt ist …

Das Buch Gesammelte Werke, 218 Seiten, gebunden, kostet 12 Euro und kann bestellt werden bei oder 06031 6848-1193.

Einsendeschluss für den Jugend-Literaturpreis der OVAG 2023 ist am 15. Juli. Näheres unter

Jugendliteraturpreis Lesung
Lesung in der Burg, v.l.: Masa Alnomani, Seba Habibyar und Pia Bonn.

Zurück