Wer erinnert sich noch daran, dass sich Angehörige von ihren todkranken Verwandten nicht verabschieden durften? Dass Tote in Plastiksäcken beerdigt wurden? „Mir wir war es wichtig, dass es daran eine Erinnerung gibt. Ich überzeugt, dass sogar damals, als das passiert ist, nicht viele darum wussten“, sagte die 14-jährige Nicole Kammerloch aus Nidda im Anschluss an ihre Lesung in der Schule, die sie besucht, dem Gymnasium Nidda. Ihr Text „Für Elise“, den die Jury beim 19. Jugend-Literaturpreis der OVAG im vergangenen Jahr auszeichnete, basiert auf einer wahren Geschichte – der ihrer Großmutter Elisabeth Kammerloch, die im Frühjahr 2021 an Corona verstarb; das heißt, eigentlich an einer Lungenentzündung. Sie hätte gerettet werden können, wäre sie früher ins Krankenhaus gekommen.
Wie in jedem Jahr gehen die Preisträger dieses Wettbewerbs auf Lese-Tour durch oberhessische Schulen, so nun auch wieder in Nidda. Aufmerksam und gleichsam betroffen folgten die Schüler der Geschichte von Nicole. Was gewiss keine geringe Aufgabe ist, Jugendliche in diesem Alter in den Bann zu ziehen. Doch Nicole Kammerloch ist mit ihrer Kurzgeschichte der Drahtseilakt gelungen, einen Weg zu finden zwischen persönlicher Betroffenheit und professioneller Distanz. Behutsam schildert sie den Ausbruch der Krankheit bei ihrer Großmutter, schildert die Verschlimmerung, das Undenkbare immer noch weit von sich weisend, Routine und Ablenkung im Schulalltag (der aber mittlerweile auch alles andere als Routine geworden war) suchend. Sie schreibt über etwas, das kaum zu verstehen ist, aber auch über ihre eigenen Ängste. „Was, wenn ich sie vergessen würde? Wenn ich irgendwann nicht mehr wissen würde, wie sie aussah und wie ihre Stimme klang?“ Bereits in jungen Jahren hat die Erzählerin eine bittere Lektion gelernt: „Warum braucht es erst den Tod, damit wir Menschen wertschätzen?“
Bereits zum sechsten Mal schrieb sich die 22-jährige Friedbergerin Pia Bonn unter die Gewinner. Auch sie thematisiert die Corona-Zeit mit „Das Café der Uhren“. Die Idee zu der Geschichte war ihr während der Corona-Zeit gekommen. Als nichts mehr so schien, wie es kurz vorher noch gewesen war. Im „Café Zeitlos“, in dem an den Wänden zahlreiche Uhren hängen, von denen jedoch keine einzige die richtige Zeit anzeigt – für Pia Bonn ein Bild dafür, wie damals so vieles aus dem Gleis sprang – treffen unterschiedliche Menschen mehr oder weniger zufällig aufeinander. Jeder beladen mit seinen eigenen Problemen und Problemchen. Geschickt orchestriert Pia Bonn dieses Szenario, im Bewusstsein, dass auch am nächsten keine der Uhren die richtige Zeit anzeigen wird. Wenn die Zeit eben aus dem geraten Takt ist …
Schließlich die 20-jährige Sarah Emamzahi aus Lich und ihre „Geschichte von Parvana“. In einfachen Worten schildert sie das authentische Schicksal einer jungen Frau, die im Iran, aus Eifersucht, von ihrem Ehemann umgebracht wurde.
Das Buch Gesammelte Werke, 218 Seiten, gebunden, kostet 12 Euro und kann bestellt werden bei hoppe@ovag.de oder 06031 6848-1193.
Einsendeschluss für den Jugend-Literaturpreis der OVAG 2023 ist am 15. Juli. Näheres unter matle@ovag.de