Im Laufe Ihrer beinahe zwanzigjährigen Tätigkeit als Vorstand der OVAG, haben Sie unzählige Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand verabschiedet. Oft genug fällt zu derartigen Anlässen die Floskel von dem lachenden und weinenden Auge. Wir nun würden Sie Ihren eigenen Gemütszustand beschreiben?
Schwarz Ein Anteil Wehmut ist gewiss dabei. Wenn man so lange an der Spitze des Unternehmens gestanden hat, wäre es eher seltsam, wenn dem nicht so wäre. Aber in diese Wehmut mischt sich die Freude, dass ich nun selbstbestimmter Dinge tun kann, die bisher zu kurz kamen.
Im Laufe ihres Berufslebens haben sie einige Stationen absolviert – von einem Jahrzehnt bei der Hessischen Finanzverwaltung über ihre Ämter als Bürgermeister der Stadt Gedern und Vizelandrat des Wetteraukreises bis hin zum Vorstand. Hier haben Sie die meisten Berufsjahre absolviert. War die Zeit bei der OVAG folglich auch etwas Besonderes für Sie?
Schwarz Jede dieser Stationen hatte seinen Reiz, barg spezielle Herausforderungen. Aber die OVAG hebt sich nicht nur durch die Zeitspanne hervor – Sie haben es erwähnt – sondern dass ich hier auch eine regelrechte Zeitenwende erlebt habe und mitgestalten durfte …
… Sie meinen den Weg vom Monopol zur Liberalisierung?
Schwarz Genau. Es war damals, also um die Jahrtausendwende, bekannt, dass die Liberalisierung kommen würde. Und mir war auch durchaus bewusst, was ein solcher tief einschneidende Wechsel bedeutet. Womit aber keiner rechnen konnte, waren die politischen Begleiterscheinungen bis hin zu Vorgaben der EU. Also, dass ständig die Spielregeln geändert wurden, sehr oft überraschend und gegen die erklärte Meinung der Fachleute.
Das heißt, Sie, wie die anderen Wettbewerber, konnten nicht immer so handeln, wie Sie wollten, wie es nach Ihrer Meinung zum Besten der Unternehmer und der Verbraucher gewesen wäre. Wie geht man damit als Manager, als Lenker um?
Schwarz Das waren durchaus interessante Erfahrungen für mich. Besonders, wenn plötzlich politische oder wie auch immer gefärbte Interessen vor das gehen, was fachlich-sachlich angeraten wäre. Wenn man zum ersten Mal mit diesen Erfahrungen konfrontiert wird, ärgert man sich zugegebenermaßen. Dann aber muss man eben versuchen, immer einen Schritt voraus zu sein. Dem Markt, den Wettbewerbern und womöglich auch der Politik.
Wie schafft man das?
Schwarz Ich würde sagen, Kompetenz, Fachwissen und gute Mitarbeiter sind die Basis für ein verantwortungsvolles Handeln, das in die Zukunft gerichtet ist. Dazu spielen Erfahrung, Bauchgefühl – oder nennen Sie es Instinkt – und die Bereitschaft hin und wieder ein kalkuliertes Risiko einzugehen eine Rolle. Letztlich: Wie überall im Leben gehört ein wenig Glück dazu. Da müssen wir uns nichts vormachen.
Ratio oder Bauchgefühl?
Schwarz Wie gesagt, Bauchgefühl bis zu einem gewissen Maße. Sich aber nie zu sehr von Emotionen leiten lassen, schon gar nicht provozieren lassen. Eine Erkenntnis von mir, die sich im Laufe meines Berufslebens gebildet hat: Manchmal ist es besser zu schweigen, nicht auf jede Pressemeldung, die gegen einen selbst oder gegen das Unternehmen gerichtet ist, zu reagieren. Gemäß dem geflügelten Wort: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Nichthandeln kann auch der Ausdruck von Souveränität sein. Man soll nicht überreagieren, man muss nicht auf jeden Zug sofort draufspringen, man muss nicht jeder sich anbahnenden Änderung mit vorauseilendem Gehorsam entgegenkommen - was heute leider nur allzu oft geschieht. Manchmal gilt auch: Wer zu früh kommt, der vernichtetet Ressourcen.
Nochmal zurück zu der von Ihnen beschriebenen Wendezeit. Das war ja auch Neuland für Sie.
Schwarz Es war für die gesamte Branche Neuland. Man musste sich regelrecht in die Materie einarbeiten. So kam es, dass ich beispielsweise in 2001 in Leipzig an der Strombörse die Händlerprüfung ablegte, weil es mir wichtig war, die komplexen und komplizierten Vorgänge nicht nur zu verstehen, sondern auch mitreden sprich handeln zu können. Viele in der Branche sprachen schon vom Ende der Stadtwerke. Das ist nicht eingetreten und – das darf man ohne falsche Bescheidenheit heute sagen – die OVAG hat alle neuen Prozesse, nicht nur beim Strom, sondern konzernumfassend, wie beispielsweise im Bereich Wasser und beim Personennahverkehr, hervorragend gelöst.
Ein kurzes Resümee nach dieser Zeitenwende?
Schwarz Bei dem Aufbau eines wettbewerbsfähigen und kundenorientierten EU-Strommarktes mit marktorientierten Preisen schlug Deutschland seinen eigenen energiepolitischen Weg ein. Die Energiewende sollte ein Vorzeigeprojekt mit Strahlkraftfunktion werden. Aber: Je länger dieses Projekt läuft, umso deutlicher wird, das die „deutsche Energiewende“ nicht die Strahlkraft und das „Feuer“ für die europäischen Staaten entfachen wird. Die Regierung verfehlt die wichtigsten Ziele beim Klimaschutz, während andere Industriestaaten eigene, teils erfolgreichere Wege gehen.
Ihre Antwort darauf?
Schwarz Es fehlt bis heute eine Gesamtstrategie. Bei ihren energiepolitischen Entscheidungen muss die Bundesregierung auch den europäischen Kontext im Auge behalten, damit das Generationenprojekt Energiewende nicht scheitert.
Wie und wo sehen Sie die OVAG im Jahr 2030?
Schwarz Sie wird sich in diesem schwierigen Umfeld mit Weitsicht und Strategie entwickeln, um der Region als Partner zur Verfügung zu stehen. Eine nicht ganz einfache Entwicklung sehe ich im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs. Hier steht der steuerliche Querverbund auf dem Prüfstand des Europäischen Gerichtshofes. Der Bundesfinanzhof hat diesen angerufen, um die Frage zu klären, ob es sich hierbei um eine unzulässige Beihilfe handelt. Aber: Das Unternehmen ist solide aufgestellt, wird gut geführt. Ich habe keinen Zweifel, dass die OVAG in zehn Jahren genauso gut dasteht, wie das heute der Fall ist.
Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus?
Schwarz Wie schon erwähnt: Ich habe jetzt mehr Zeit für Freizeitbeschäftigungen, die mir lieb sind. Ich bin weiterhin Präsident der IHK Gießen-Friedberg und werde in meiner Kanzlei, einer Steuer- und Wirtschaftsberatungsgesellschaft weiterarbeiten. Es wird also nicht langweilig…
Rainer Schwarz
Rainer Schwarz lebt mit seiner Familie in Langgöns. Er ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.